Griff in die Asche
Auch so eine Frage, mit der man sich normalerweise nicht beschäftigt, die aber doch eines Tages beantwortet werden muss: Wenn man tot ist und falls man sich verbrennen lässt – wem gehört eigentlich das Zahngold, das von einem übrig bleibt? Den Hinterbliebenden? Dem Krematorium? Oder dürfen dessen Mitarbeiter es einstecken? Darauf muss das Bundesarbeitsgericht in Erfurt and diesem Donnerstag eine Antwort finden.
Das Krematorium aus dem Hamburger Stadtteil Öjendorf klagt gegen seinen früheren Mitarbeiter Walter L. auf 273000 Euro Schadensersatz, plus Zinsen. Der Mann hatte es sich zur Gewohnheit gemacht, die Aschekästen nach Gold und anderen Edelmetallen zu durchsuchen und anschließend zu verkaufen. Im Jahr 2010 flog das auf, und seitdem beschäftigen sich viele Gerichte mit L. sowie acht Kollegen (respektive Komplizen), die als „Zahngolddiebe aus dem Krematorium“ durch die Lokalpresse gingen. Die Prozesse gegen ihre Kündigung verloren sie, und zu dem verurteilte das Landgericht Hamburg sie im Juni zu Bewährungsstrafen, unter anderem wegen Störung der Totenruhe. Aber das Krematorium will, dass sie das Geld zurückzahlen. Der Fall von L. ist nun der erste, der beim Bundesarbeitsgericht angekommen ist. Was den Schadensersatzt betrifft, ist er juristisch weniger eindeutig als vielleicht moralisch. Das Abreitsgericht Hamburg hatte die Klage des Krematorium abgewiesen, das Landesarbeitsgericht Hamburg gab ihr weitgehend statt. Das Arbeitsgericht führte zur Begründung an, dem Krematorium könne schon deshalb kein Schaden enstanden sein, weil es an dem Zahngold gar kein Eigentum erworben habe. Das räumte auch das Landesarbeitsgericht ein: „sowohl der Leichnahm als auch die künstlichen Körperteile stehen in niemanden Eigentum.“ Aber: Mi der Einäscherung ändere sich dies. Danach seien Zahngold und Prothesen “ bewegliche Sachen“ und somit „eigentumsfähig“, zudem herrenlos – doch falls Walter L. in dem Moment dachte, erneut recht zu bekommen, freute er sich zu früh: Die Richter griffen zu Paragraf 667 des Bürgerlichen Gesetztbuchs. Der lautet: „Der Beauftragte ist verpflichtet, dem Auftraggeber alles, was er zur Ausführung des Auftrages erhält …, herauszugeben.“ Also auch das Gold. Schließen sich die Bundesrichter dieser Auffassung an, wäre Walter L. wohl ruiniert. Denn das Geld, das sie fürs Gold bekamen, haben er und seine Kollegen für Mexikoreisen, Autos und Spielhallenbesuche verbraucht. Hätte das Krematorium auf die Idee kommen müssen, die Hinterbliebenden zu fragen ob sie das Zahngold möchten? Inzwischen macht man es so, aber früher, sagte der Anwalt des Betriebs, Jan Ruge, sei dies aus Gründen der Pietäät nicht geschehen – wer wolle als Trauernder schon um solch eine Entscheidung gebeten werden? Also entschied sich das Krematorium fürs Verkaufen. Den Erlös aus dem Zahngold spendete es der Kinderkrebshilfe; den Erlös aus den Prothesen nutzte es “ zur Verbesserung der Arbeits- und Dienstbedingungen“, wie es in einer internen Verfügung hieß. Darunter wurde einmal auch verstanden, die Weihnachtsfeier des Krematoriums zu bezahlen.
Detlef Esslinger