Myanmars grünes Gold
Im Boden Myanmars findet sich die wertvollste Jade der Welt. Die grünen Steine sind teurer als Edelmetall. Doch die Bevölkerung profitiert kaum von diesen Schätzen. Im Gegenteil.
Von Jonathan Ponstingl Tiefe Furchen durchziehen das Schlammbett, der Boden ist übersäht mit blutroten Betelflecken, Zigarettenqualm liegt in der Luft; es ist schmutzig. Kreischende Schleifsteine reihen sich beiderseits des engen Pfades mitten in Mandalay, einer Stadt im Zentrum von Myanmar. An einem von ihnen sitzt Tin May, ein hagerer Junge in tiefer Konzentration, keine zwanzig Jahre alt, und übt in regelmäßigen Abständen Druck auf ein Trittbrett am Boden aus. In seinen Händen hält er einen dünnen Bambusstock, an dessen Spitze ein kleiner, grüner Stein klebt. Was er da im Dreck bearbeitet, ist wertvoller als Gold: Jade. Kürzlich veräußerte ein Auktionshaus in Hongkong eine Jade-Halskette für rekordverdächtige 27,44 Millionen US-Dollar.Der Handel mit den grünen Edelsteinen boomt, und mit der ökonomischen Öffnung Myanmars erhebt sich auch dessen Edelsteinsektor aus der Isolation. Das frühere Birma ist der mit Abstand größte Produzent von qualitativ hochwertiger Jade. Reißenden Absatz findet sie insbesondere in China. In Europa hingegen ist Jade weitgehend unbekannt – bislang. Ausländische Investoren strömen nach Myanmar, um sich die reichen Bodenschätze unter den Nagel zu reißen. Woher stammen also die grünen Reichtümer, die womöglich auch Deutschland bald erreichen?Tin May ist Schleifer auf dem bekanntesten Jademarkt Myanmars. Alles, was die großen Bergbaugesellschaften nicht direkt exportieren, landet hier in Mandalay, dem Zentrum des lukrativen Jadehandels. „Jade ist viel mehr als einfach nur Schmuck“, sagt Tin May. „Jade hat Charakter. Jedes Jadestück ist unterschiedlich.“ Was die Schmuckhändler in der Edelsteinvariante als echte Jade verkaufen, sind letztlich Gesteine – sogenannte Jadeite.Die Mineralgemenge setzen sich aus Natrium- und Aluminiumsilikat zusammen; in ihrer Grundform sind sie weiß oder farblos. Die rötliche, gelbe, violette oder die besonders wertvolle grüne Färbung erhalten sie durch die Beimengung von Eisen, Chrom und Mangan. Damit glatte, glasartige Steine entstehen können, benötigen die Bestandteile einen hohen Druck und große Hitze. Jadeite entstehen in Zonen mit viel plattentektonischer Bewegung innerhalb der Erdkruste. Prädestiniert ist der Bereich rund um den Pazifischen Feuerring, jene gewaltige hufeisenförmige Zone, an der die pazifische Platte auf ihre Nachbarn stößt und entlang der besonders häufig Erdbeben und Vulkanausbrüche stattfinden.Jadeite lagern in Ländern wie Neuseeland, Indonesien, Japan, Mexiko und in Kalifornien, entlang der San-Andreas-Spalte. In Myanmar kommen die Auswirkungen der Indischen Platte zum Tragen, die sich in die Eurasische Platte schiebt. Immer wieder wird das Land von Erdbeben heimgesucht – die Kehrseite der Medaille. Der Prozess begünstigt aber eben auch die Entstehung der wertvollsten Jade der Erde.“Smaragdgrün sind sie am besten“, sagt Ko Taik und hebt vom Holzbrett einen milchiggrünen Stein in die Höhe. Der strafende Blick Tin Mays sorgt dafür, dass das Kleinod schnell wieder seinen angestammten Platz findet – anfassen unerwünscht. Ko Taik ist Edelsteinexperte und schleust Besucher über den Markt. Jade sei die Lebensgrundlage seiner Familie, sagt er. Einer der Verkaufsstände gehört seiner Schwiegermutter, sein Bruder vertreibt nebenan kleine Stablampen, mit denen Käufer die Qualität näherungsweise feststellen. Ko Taik weiß, dass es ihnen damit weit besser geht als den Tausenden, die in den Dörfern um die Abbaugebiete leben. „Der Großteil der Bergbaukonzessionen wird in die Grenzregionen vergeben“, sagt er.
Die größten Vorkommen lagern im Kachin-Staat, der im Norden zwischen China und Indien eingeklemmt ist. Die Bergbaugesellschaften schöpfen alles ab, was irgendwie wertvoll ist. Bewaffnete Gruppen besorgen den Schwarzmarkthandel. Der Bevölkerung bleibt wenig. Im Gegenteil: Landraub, Einschüchterung und Gewalt bedrohen ihre Existenz. Berge werden von allen Seiten durchbohrt, Minenabfälle in Flüsse und Seen geleitet, Waldflächen gerodet; Lebensgefahr durch Erdrutsche ist die Folge. Die Jadeite lagern in den Vorgärten der Bevölkerung – berühren dürfen sie sie nicht.
In den Vitrinen der Händler in Mandalay liegen die kunstvoll verarbeiteten Schmuckstücke fein säuberlich geordnet nebeneinander. Die Strukturen im Hintergrund sind weit weniger durchsichtig. Hpakant in Kachin gilt Jade-Schürfern als Dorado. Die ortsansässige Bevölkerung merkt davon wenig. Ein Bericht der internationalen Nichtregierungsorganisation Global Witness bezeichnet Hpakant als den wertvollsten Ort der Erde. Auf einer kleinen Fläche lassen sich hier Milliarden verdienen. Ein einziges Kilogramm Jade würde ausreichen, um mehrere Krankenhäuser in der Region für ein Jahr zu finanzieren.
Laut Global Witness verkauft das Militär Jade für den Durchschnittspreis von 13 000 US-Dollar pro Kilogramm. In der teuersten Variante steigt der Kilopreis auf bis zu 2,89 Millionen US-Dollar an. Zu den Profiteuren gehören vor allem Angehörige und Günstlinge des Militärs, Drogenbarone sowie bewaffnete ethnische Gruppen. Die Abbaugebiete liegen fast ausschließlich in Konfliktregionen, in denen es immer wieder zu Auseinandersetzungen zwischen dem Militär und den Armeen der verschiedenen Ethnien kommt. Der Waffennachschub ist in den entlegenen Gebieten kein Problem – die Jade finanziert die Gewalt. Auch im westlichen Rakhine, der Heimat der vertriebenen muslimischen Minderheit Rohingya, lagern große Jadevorkommen. Kaum eine Zahl für den Wert des myanmarischen Jadesektors ist allerdings verlässlich; zu unklar sind die Strukturen und zu groß ist der Schwarzmarkthandel. Global Witness beziffert den Wert auf 31 Milliarden US-Dollar pro Jahr.
In unmittelbarer Nachbarschaft der Werkstätten verkaufen die Händler in Mandalay Jade für Normalbürger; kunstvoll verarbeitet zu Ohrringen, Armreifen und kleinen Tierfiguren. Die Preise reichen von wenigen Euro bis zu mehreren Tausend für besonders seltene Stücke. In einer Querstraße sitzen vier Chinesen auf tiefen Plastikstühlen, jeder von ihnen hält einen großen Steinklumpen in der Hand. Die Krux mit der Jade ist, dass man ihren genauen Wert nicht abschätzen kann, bevor man den Stein zerteilt. Und das geschieht erst nach dem Erwerb.
„Jadekauf ist wie Glücksspiel“, sagt Ko Taik. Mit langen Taschenlampen bewaffnet untersuchen die potenziellen Käufer die Steine, versuchen die Maserung im Inneren auszumachen und geben diskrete Gebote ab. Möglichst kalt muss er sich anfühlen, das zeugt von guter Qualität. Weiter hinten im Laden liegen Gesteinsbrocken von der Größe eines Röhrenfernsehers. Mit der richtigen Struktur liegt der Dollarpreis im Millionenbereich. Jade hat in China Tradition, noch heute werden die Edelsteine mit dem Kaisertum assoziiert. Die wachsende chinesische Mittelschicht ist verrückt nach dem schimmernden Stein – ein Statussymbol.
Negative Begleitumstände und chinesische Exporte sind Tin May nicht gleichgültig. Die eigene Existenzsicherung hat aber Vorrang. Er bearbeitet kostbare Steine – lebt aber von der Hand in den Mund. An seinem Schleifstein nimmt er sich ein neues Stöckchen. „Superkleber“, sagt er und befestigt mit einer Paste einen unbearbeiteten Stein an der Spitze. Schwer vorstellbar, dass unter dem matten Grau eine Kostbarkeit schlummern soll. Doch Tin May tunkt die Spitze in ein Wasserbecken und bringt seinen Schleifstein in Bewegung. Vorsichtig führt er das Holz mit dem Jadeit an die Mechanik und erzeugt das gleiche, hohe Kreischen, wie die gut drei Dutzend Schleifer neben ihm. Stück für Stück schimmert tatsächlich das saftige Grün eines Jadesteins hervor.