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Der Diamant von Sierra Leone

A 709-carat diamond, found in Sierra Leone and known as the 'Peace Diamond', is displayed during a tour ahead of its auction, at Israel's Diamond Exchange, in Ramat Gan, Israel

Der 709-Karat-Diamant, genannt ‚“Peace Diamond“.(Foto: Nir Elias/Reuters)

In einem kleinen Dorf im Osten des Landes wird einer der größten Diamanten der Welt gefunden. Die gezahlten 6,5 Millionen Euro sollen diesmal für alle sein. Doch es kommt anders.

Von Bernd Dörries

Er weiß noch genau, wie das war, an jenem 13. März 2017, dem Tag, der alles verändert hat. Komba Nyandomoh aus dem Dorf Koryardu, Sierra Leone, steht vor dem Tümpel, aus dem die Männer den Schlamm holten, an dem sie den Sand wuschen auf einem Brett. Hier fanden sie den Stein, so groß, dass sie erst dachten, das kann unmöglich ein Diamant sein. Komba Nyandomoh sagt, er war sich sofort sicher. Das ist der Stein, der mein Leben verändern wird.

In den Monaten darauf schickten ihm Freunde Fotos des Diamanten, der wie ein Tourist um die Welt reiste: der Stein in Tel Aviv, in Antwerpen, in New York, auf den großen Diamantenbörsen der Welt. In dieser Zeit hat sich Nyandomoh ausgemalt, wie reich ihn sein Diamant machen wird. Das Haus, das er sich in seinen Träumen baute, an einem Hügel in Freetown, wurde mit jedem Tag ein bisschen größer.

Ein paar Wochen später kamen Fremde in sein kleines Dorf, Diamantenhändler aus New York, die einen Film machten, er flirrt noch immer durchs Internet: Komba Nyandomoh und die Männer erzählen von ihrem Leben, von den Reichtümern, die bisher immer die anderen bekamen. Ihre Gesichter sind in diesem Film voller Zukunft. „Wir sind keine Sklaven mehr“, sagt einer.

Der Diamant aus Koryardu, tief im Osten von Sierra Leone, ist der fünfzehntgrößte jemals gefundene der Welt. Er wurde am 4. Dezember 2017 in New York versteigert, für 6 536 360 Dollar. Es sollte ein großer Tag werden für Komba Nyandomoh und das Dorf Koryardu. Und ein großer Tag für die internationale Diamanten-Industrie, die tönte, dass an diesem Diamanten nachweisbar kein Blut klebt, dass er sauber ist, rein. Ein guter Diamant.

Dem Dorf versprach man Strom, Wasser, eine richtige Schule, vielleicht sogar eine Straße

Es ist die alte afrikanische Krankheit. Je mehr Bodenschätze ein Land hat, desto ärmer sind seine Bewohner, desto tödlicher seine Kriege. Im Kongo wird gemordet, um an Gold, Tropenhölzer, Coltan und Kobalt für Elektro-Autos zu kommen. In Nigeria tobt der Kampf ums Öl, das man in Europa an der Tankstelle zapft. Sierra Leone befand sich bis vor 15 Jahren im Krieg um die Diamanten, es ging immer darum, wem sie gehören und wer das Geld bekommt. Schöne Frauen in den Metropolen der Welt trugen Steine aus Sierra Leone um den Hals, während Hunderttausende im Land starben, Tausenden wurden die Gliedmaßen abgehackt, man sieht sie heute noch in Rollstühlen an den Straßen sitzen, wie sie ihre Arme ausstrecken, Arme ohne Hände.

Leonardo DiCaprio brachte die Hölle 2006 ins Kino, „Blood Diamond“ hieß der Film, der die Diamanten-Börsen in Antwerpen und Tel Aviv aufschreckte. „Peace Diamond“ haben die PR-Strategen der Diamanten-Industrie den Stein genannt, der im Loch von Komba Nyandomoh gefunden wurde. Es sollte klingen wie ein Versprechen, der Erlös sollte den Menschen in Sierra Leone zugutekommen, dem Land Frieden bringen. Dem Dorf Koryardu versprach man Strom, Wasser, eine richtige Schule. Vielleicht sogar eine Straße.

Es sollte eine schöne Geschichte werden, von denen es in diesem Teil Afrikas so wenige gibt.

Koryardu ist eine Ansammlung von ein paar Dutzend Hütten mit ein paar Dutzend Menschen. Die Schule ist ein Blechdach mit fast nichts darunter. „Wir haben keine Bücher, wir haben keine Stifte, wir haben nichts“, sagt der Lehrer. „Wir hören immer nur von all dem Geld, wir haben aber nichts.“ Es ist selten, dass ein Fremder hierher kommt. Seit der Stein gefunden wurde, war kein Politiker bei ihnen, kein Journalist. Die Blicke der Menschen sind neugierig, wütend und leer. Der Friedensdiamant hat dem Dorf nichts gebracht. Habt Geduld, sagt die Regierung. Wir warten doch schon fast ein Jahr, sagen die Leute.

„Alle sind reich geworden, nur ich und das Dorf sind fast leer ausgegangen“, sagt Komba Nyandomoh, auf dessen Land der Stein gefunden wurde. Er ist 55 Jahre alt, seit mehr als zehn Jahren gräbt er, mal findet er etwas, mal zwei Jahre lang nichts, mal gräbt er selbst, mal hat er etwas Geld, um Männer anzustellen für 80 Cent am Tag. Anfang 2017 war ihm das Geld ausgegangen. Er bat Emmanuel Momoh aus der ein paar Kilometer entfernten Stadt um Hilfe. Momoh, den sie den Pastor nennen, auch wenn er die Verkündigung der frohen Botschaft zugunsten des Nusshandels eingestellt hat. Den Gewinn investierte er in die Diamantensuche.

Das westafrikanische Land ist berühmt und berüchtigt für seine vielen Diamanten. An dieser Stelle wurde 1972 der „Stern von Sierra Leone“ ausgegraben.(Foto: Issouf Sanogo/AFP)

Momoh bezahlte also die Männer weiter, die sich Komba Nyandomoh nicht mehr leisten konnte. Beide machten einen mündlichen Vertrag, wer wie viel des Gewinns bekommen sollte. Sechs Wochen später wurde der Stein gefunden.

Der Pastor ging mit dem Stein zum Paramount Chief, dem traditionellen Führer der Region, eine feste Instanz. Zusammen gingen die beiden dann zu einem libanesischen Diamantenhändler. Der Händler konnte nicht glauben, was er sah und riet den beiden, ihm den Stein zu geben. Er werde ihn aus dem Land schmuggeln, den Gewinn würde man gerecht teilen. So hatte man es hier schließlich immer gemacht.

Komba Nyandomoh, auf dessen Land der Stein gefunden wurde und der nichts als einen mündlichen Vertrag hatte, war da schon kein Gewinner mehr.

Pastor Momoh und der Paramount Chief beschlossen, den Stein nicht dem Diamantenhändler zu geben und fuhren am nächsten Tag in die sechs Stunden entfernte Hauptstadt Freetown. Am Abend standen sie in der zuständigen Behörde, der National Minerals Agency, der Präsident von Sierra Leone wurde kurz danach informiert. Ernest Bai Koroma gab sich staatstragend: Der Diamant werde der Region und dem ganzen Land zugutekommen, ein fairer, transparenter Prozess solle gestartet werden. Alles war sehr feierlich, und alle waren bewegt von ihrer eigenen Tat. Man sprach von Zeitenwende, von einem neuen Weg. Und es sah kurz so aus, als würden diesmal alle alles richtig machen.

Diesmal wird alles anders, sagte die Regierung und engagierte Martin Rapaport als Verkaufsagent. Er ist seit Jahrzehnten im Geschäft, als er begann, gab es keine einheitlichen Kriterien dafür, wie viel ein Diamant wert ist. Er ordnete sie in Qualitätsklassen, gab den Rapaport Diamond Report heraus, die Bibel der Branche. Es ist eine Branche, in der Händler an den Börsen in Antwerpen und New York Milliarden verdienen, während die Menschen, die diese Steine aus dem Boden graben, nicht genug zum Essen haben, und Länder, in denen sie gefunden wurden, im Krieg versinken.

Dann kommt die Nachricht: Ein britischer Juwelier zahlt für den Stein 6,5 Millionen Dollar

Es gab Kampagnen von Menschenrechtsgruppen, das Wort Blutdiamant ging um die Welt, die Reichen mussten sich fragen lassen, ob sie sich mit so etwas schmücken wollen. Rapaport erkannte als einer der Ersten, dass das nicht gut für das Geschäft ist. Als er 2000 nach Sierra Leone reiste, sah er, was der Krieg angerichtet hatte und wofür die Diamantenindustrie mitverantwortlich war. „Reise der Schuld“, nannte er seinen Besuch werbewirksam und appellierte an seine „Freunde“ in der Szene, dass sich etwas ändern müsse. Der Kimberley-Prozess wurde ins Leben gerufen, ein System von Handelszertifikaten, die ausschließen sollten, dass Diamanten aus Kriegsregionen oder illegalen Schürfungen in den Handel kommen.

Der Kimberley-Prozess war ein Fortschritt, verhindert nach Ansicht von Menschenrechtlern aber noch lange nicht, dass auch Steine aus dubiosen Quellen in den Handel kommen. „Die Öffentlichkeit hat den falschen Eindruck, dass das Problem gelöst ist“, sagte Joanne Lebert von Impact, einer NGO, die den Kimberley-Prozess mitgegründet hat, ihn nun aber aus Protest wieder verlässt. Das Verfahren sei zu löchrig, Diamanten aus dem Kriegsgebiet der Zentralafrikanischen Republik würden über Kamerun eingeschleust und als konfliktfrei verkauft. Ausbeutung durch Regierungen, Minengesellschaften oder Sicherheitsfirmen spielten beim Kimberley-Prozess ohnehin keine Rolle.

„Wir können nur hoffen, dass Gott uns hilft“

Der Stein aus Koryardu, den die Welt jetzt Peace-Diamond nennt, sollte beweisen, dass es saubere Diamanten gibt und dass die Branche an sich arbeitet. „Wie können wir den Millionen helfen, die in bitterer Armut leben?“, schreibt Rapaport. „Es ist ganz simpel, wenn die Schürfer legal arbeiten und Steuern zahlen, kann die Regierung eine bessere Infrastruktur zur Verfügung stellen. Wenn das andere Diamantensucher sehen, werden sie ihre Steine auch durch legale Kanäle verkaufen.“ Dadurch entstehe ein Kreislauf des Wachstums.

Pastor Emmanuel Momoh war für Rapaport wie ein Geschenk. Ein Mann Gottes, der endlich Gerechtigkeit will. „Es gibt einen Grund, warum Gott diese Diamanten den ärmsten Menschen der Welt gegeben und dafür gesorgt hat, dass die reichsten sie wollen. Das macht die Welt zu einem besseren Ort“, sagte Rapaport in einer Pressemitteilung im November. Es klang, als würde man von jetzt an mit dem Kauf eines Diamanten die Armen retten.

Rapaports Leute schickten Pastor Momoh mit dem Stein auf Welttournee, an die wichtigsten Diamantenbörsen in Tel Aviv, Antwerpen und New York. Und Pastor Momoh sagte: „Ich möchte zur Entwicklung meiner Gemeinschaft beitragen.“ Von neuen Straßen war die Rede, von fließendem Wasser und brauchbaren Schulen.

In Koryardu saßen sie weiter im Nichts, fragten sich, was sie am Abend essen würden, dann brannte auch noch der Reisspeicher ab. Sie fragten sich, ob vom Stein noch etwas übrig bleiben würde für sie, während der Pastor durch die Welt tingelte und ein immer strahlenderer Held wurde. In den Medien war Pastor Emmanuel Momoh mittlerweile der, der den Diamant ausgegraben hatte, obwohl er nach Angaben der Dorfbewohner am 13. März 2017 gar nicht in Koryardu war. „Die Leute, die den Diamant verkaufen, sind hoffentlich so ehrlich mit mir, wie ich es mit ihnen war“, sagte der Pastor in einem Interview im April.

Am 4. Dezember kam die Nachricht, dass der britische Juwelier Laurence Graff den Friedensdiamanten für 6,5 Millionen Dollar gekauft hat. Ein paar Tage später überwies die Regierung dem Pastor das Geld. Kurz vor Weihnachten bestellte der Pastor die Schürfer in ein neues Anwesen nach Freetown, wo er jetzt offenbar wohnt, um ihnen zu sagen, wie viel Geld sie bekommen. Denen, die nicht zufrieden waren, habe er mit einem Anwalt gedroht, sagt Komba Nyandomoh. „Danach ist er abgetaucht, er geht nicht mehr ans Telefon.“

Damit haben sie nicht gerechnet. Die Regierung behält 60 Prozent des Gewinns für sich

Nyandomoh schaut hinein in das Loch, aus dem der Stein kam. Es ist nur noch ein trauriger Tümpel. Sie haben jetzt fast ein Jahr gewartet und nach allem, was sie gehört haben, wurde die Summe immer unglaublicher, von 50 Millionen Dollar war die Rede. Die Häuser, von denen sie träumten, wurden immer größer, die Toyota Land Cruiser bekamen Ledersitze.

Seit der Stein tatsächlich verkauft ist, wird die Summe immer kleiner. Die erste schlechte Nachricht war, dass die Regierung 60 Prozent des Gewinns für sich behalten wird, weil das Dorf ohne Lizenz gegraben habe. Aber man habe eine Lizenz beantragt, nur die Bürokratie habe zu langsam gearbeitet, sagen die Leute im Dorf. Normalerweise nimmt die Regierung bei Steinen mit Lizenz drei Prozent, bei besonders großen 15 Prozent, jetzt nahmen sie sich fast vier Millionen Euro.

Die Regierung sagt, sie habe dem Pfarrer 40 Prozent des Erlöses gegeben, so sehe es das Gesetz vor. Das wären etwa 2,6 Millionen Dollar. Das Gesetz sagt aber nichts darüber, wie der Pastor das Geld zu verteilen hat.

Komba Nyandomoh sagt, laut mündlichem Vertrag habe der Pastor etwa 780 000 Dollar an ihn als Pächter zu zahlen und weitere 780 000 Dollar an die fünf Männer, die den Stein ausgegraben haben. „Das hat er aber nicht gezahlt, er hat meinen Anteil heruntergehandelt, er kam mit Papieren, die ich unterschrieben habe“, sagt Nyandomoh. Er habe unterschrieben, obwohl er weder lesen noch schreiben kann. Aber auch diese Summe wäre noch eine gute Sache gewesen, fast 300 000 Dollar. Bekommen habe er aber nur 26 000 Dollar, sagt er. Von 6,5 Millionen. Obwohl der Stein auf seinem Land gefunden wurde. Von dem Geld sei nichts mehr übrig, er habe Verwandten etwas gegeben, habe Schulden beglichen.

Etwa 12 000 Dollar soll der Pastor dem Dorf überwiesen haben, sagt Komba Nyandomoh, aber niemand weiß, wo dieses Geld geblieben ist. In der Bank soll Pastor Momoh eine Nachricht an das Dorf hinterlassen haben, dass es nicht mehr Geld gebe, seitdem geht er nicht mehr ans Telefon. „Er ist auf der Flucht“, sagt einer im Dorf, der behauptet, er sei ein Onkel des Pastors.

Die Bewohner sitzen auf dem großen Platz, fast jeder hat eine Geschichte zum Stein zu erzählen. Jeder verdächtigt jetzt jeden, das große Geld bekommen zu haben. Es schwirren Summen durch die Luft, die kein Mensch hier zählen könnte. Ein paar Kilometer weiter läuft das Loch voll Wasser, weil niemand mehr gräbt. „Ich habe kein Geld, die Arbeiter zu bezahlen“, sagt Komba Nyandomoh. „Wir können nur hoffen, dass Gott uns hilft.“

Oder die Regierung. Oder Rapaport.

Wenn man Rapaport eine E-Mail schreibt und fragt, was aus den vielen Versprechen geworden ist, lautet die Antwort: Wie ist die Adresse Ihrer Rechtsabteilung?

In seinen Werbebroschüren behauptet Rapaport, dass 15 Prozent aus dem Diamantenverkauf in einen regionalen Entwicklungsfonds fließen würden. Rapaport schreibt: „Eine Frau, die einen Diamant bekommt, der den ärmsten Menschen der Welt geholfen hat, wird ihren Liebhaber mit anderen Augen sehen, mit mehr Liebe, wegen seiner sozialen Großzügigkeit. (Dasselbe trifft auch auf gleichgeschlechtliche Paare zu.)“ Exakt 980 454 Dollar, hat Rapaport ausgerechnet, flössen als Beitrag der sozialen Großzügigkeit in den Fonds für Schulen, Straßen und Wasser.

Der Bürgermeister sucht sein Glück jetzt in der Hauptstadt, so wie alle, die profitiert haben

„Wir wissen nichts von so einem Betrag“, sagt Sahr Wonday, Generaldirektor der National Minerals Authority. Er sitzt in einem heruntergekühlten Büro in Freetown, vor dem ein paar Chinesen herumlungern und Rauchwolken in den Himmel blasen, lauter Schatzsucher, die auf ihre Lizenzen warten, die hier vergeben werden.

Drinnen erklärt Sahr Wonday, wie vor einigen Jahren der Diamond Area Community Development Fund eingerichtet worden ist, in den ein Anteil des Verkaufspreises der Diamanten fließt, sofern sie offiziell gemeldet und mit einer Lizenz gefunden wurden. Da dies auf den Peace Diamond nicht zutreffe, flossen 60 Prozent des Verkaufspreises, also knapp vier Millionen Dollar, direkt in den Regierungshaushalt. Rechtlich könne die Regierung damit machen, was sie will, sie muss es nicht für Straßen, Schulen und Krankenhäuser ausgeben.

Ob von dem vielen Geld auch etwas dem Dorf zugutekommen werde? „Selbstverständlich“, sagt Wonday, er wird nun lebhaft. Das Dorf müsse belohnt werden, es müsse dort etwas Sichtbares entstehen, eine Art Erbe. Es klingt, als wolle man in Koryardu ein Denkmal aufstellen. Mindestens eine Million Dollar, sagt Wonday, würde fließen, da sei er sich sicher. Wann? Schwierige Frage. Man müsse Gespräche führen. „Wir müssen ja vor allem auch das Dorf fragen, was es will.“ Fast ein Jahr hatte die Regierung Zeit, nach Koryardu zu fahren, und diese Frage zu stellen.

„Kommen Sie im März wieder“, schreibt Martin Rapaport, „dann haben ‚die Guten‘ eine Chance, den Prozess des Wachstums und der Entwicklung zu beginnen“. Es sei weltfremd, dass nur wenige Wochen nach dem Verkauf des Steins schon greifbare Ergebnisse zu erwarten seien. Es ist ein langer Brief, den er schickt, voller Schmähungen, Drohungen. Er schreibt: „Denken Sie daran, jedes Mal, wenn Sie einen der Guten angreifen, wird es für die Diamantenschürfer schlimmer.“ Man habe in Sierra Leone die Chance, ein neues Modell des Handels mit Ressourcen aufzubauen, von dem alle Seiten profitierten, die Kunden, die Schürfer und das Land – ethische Diamanten, das sei wie „Fair Trade Kaffee auf Steroiden“. Ganz am Ende des Briefes schreibt er: „Give peace a chance.“

Ein paar Tage später berichtet die Zeitung Awoko davon, dass Pastor Emmanuel Momoh wieder aufgetaucht sei und in einem Hotel der Hauptstadt Freetown ein Essen gegeben habe, um sich bei den Arbeitern zu bedanken, die den Stein gefunden haben. Aber gab es das Essen wirklich? Landbesitzer Komba Nyandomoh sagt, er wisse nichts davon.

Es dauert, bis man einen der Männer findet, die den Stein ausgegraben haben. Eigentlich will er nur Investoren treffen, die etwas machen wollen aus der Mine, in der der Stein gefunden wurde. Sahr Lebbie sitzt in einem Mercedes 190, der Tacho ist bei 150 000 Kilometern stehengeblieben. Er erzählt, wie sie in der Hitze des Dorfes saßen in den vergangenen Monaten und wie die Nullen immer zahlloser wurden und wie sie am Anfang noch über eine neue Schule geredet haben und wie die Privathäuser immer größer wurden, die sie sich kaufen wollten in Freetown.

„Es reicht aber nicht“, sagt Lebbie, er habe nur 85 000 Dollar bekommen vom Pfarrer anstatt der vereinbarten 156 000. Zu wenig für das Haus, das er sich erträumt hat. Von dem Essen im Hotel, sagt er, wisse er nichts, obwohl er in der Zeitung zitiert wurde. Er denkt nicht mehr an Straßen, Schulen und Strom für das Dorf, dessen Chief er ist. Er sucht sein Glück jetzt erst mal in der großen Stadt, so wie alle, die etwas von dem Geld abbekommen haben.

Und das Dorf, in dem er noch Bürgermeister ist? „Da ist nichts“, sagt Lebbie. Und das Loch, in dem vielleicht noch mehr Steine liegen? „Ich investiere nichts mehr in Diamanten, ich wurde nur betrogen“, sagt er, steigt in den Mercedes und fährt davon. Auf dem Kofferraum ein verblichener Sticker, auf dem steht: Winner.

Quelle: https://www.sueddeutsche.de/panorama/bodenschaetze-der-diamant-von-sierra-leone-1.3848219

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